Machtfaktor Wasser
von Carsten Lexa
01.06.2003

Fragt man die Tibet-Initiative Deutschland nach einem Grund, warum China nicht von Tibet lassen will, so erhält man folgende verblüffende Antwort: "Im tibetanischen Hochland entspringen die zehn größten Flusssysteme Asiens, welche in ihrem Unterlauf die am dichtesten besiedelte Region der Erde versorgen: neben China, Indien und Pakistan auch Nepal, Bhutan, Bangladesh, Vietnam, Burma, Kambodscha, Laos und Thailand. Sie alle sind zum Überleben auf die vom tibetanischen Plateau herabfließenden Flüsse angewiesen." Dabei muss man bedenken, dass in den oben genannten 11 Ländern 47% der Weltbevölkerung leben. Tibet - also China - könnte sie alle mit gigantischen Umlenkkanälen buchstäblich aufs Trockene setzen (und China war in der Vergangenheit bei solchen Maßnahmen nicht gerade als zimperlich bekannt).
Aber nicht nur diesem Volk wird wegen des Wassers die Selbstbestimmung vorenthalten, auch beispielsweise die Kurden sitzen zu dicht an den Quellen. Ihr Land könnte die Wasserzufuhr in weiten Teilen der Türkei, Syriens, des Irak und Iran kontrollieren. Keiner dieser Staaten will seinen Kurden eigene Macht zubilligen.

Auch ohne eigenen Kurdenstaat ist die Wasserlage in Vorderasien kompliziert genug. Die Türkei nämlich beherrscht die Oberläufe von Euphrat und Tigris. Von diesen beiden Flüssen hängt Syrien zum größten Teil und der Irak fast vollständig ab. Das allerdings kümmert die Türkei ziemlich wenig: Sie betreibt ein riesiges Wasserprojekt mit 22 Staudämmen und 19 Kraftwerken. Damit soll eine Fläche so groß wie Sachsen bewässert, und mehr Strom als aus zwei großen Kernkraftwerken gewonnen werden. Schon allein mit dem geplanten Ilisu-Damm könnte sie das Zweistromland mehrere Monate völlig trocken legen.
Völkerrechtlich gesehen ist nichts zu machen - jedes Land darf einem anderen das Wasser abgraben (obwohl im Völkerrecht das Gebot der nachbarstaatlichen Rücksichtnahme anerkannt, aber nicht von allen Staaten akzeptiert ist). Der ehemalige türkische Staatspräsident Demirel meint dazu: "Mit dem Wasser ist es wie mit dem Öl. Wer an der Quelle sitzt, hat ein Recht, das ihm niemand streitig machen kann." Zwar existiert seit 1997 ein UNO-Übereinkommen zu grenzüberschreitenden Wasserwegen. Allerdings fühlen sich drei bestimmte Länder nicht daran gebunden: China (mit dem wassermächtigen Tibet), das afrikanische Land Burundi und eben die Türkei. Diese drei Länder mochten nicht einmal dem Passus in dem Übereinkommen zustimmen, nach dem jedes Land seine Nachbarn über größere Eingriffe wenigstens informieren muss.

Demgegenüber werden - als positives Beispiel - auch ab und an zwischen Staaten völkerrechtliche Verträge im Interesse einer sicheren Wasserversorgung geschlossen: etwa zwischen den verfeindeten Staaten Indien und Pakistan mit dem Indus-Abkommen von 1960 (13 Jahre zuvor hatten diese beiden Länder um die Rechte am Fluss noch Krieg geführt). Daneben gibt es ein Jordan-Abkommen zwischen Israel und Jordanien, sowie im 20. Jahrhundert ein Abkommen für den Nil zwischen Ägypten, Äthiopien und dem Sudan.

Wie man sieht wird das Wasser als Konfliktstoff immer brisanter. Über 50 große Flusssysteme weltweit berühren mehrere Länder. Und der Wasserverbrauch der Menschen wächst. Mehr als zwei Drittel des kostbaren Nasses fließen allerdings nicht in die menschlichen Kehlen, sondern werden weltweit zum Bewässern landwirtschaftlicher Flächen benötigt.

Es wird also deutlich: Wasser wird eine immer größere Rolle spielen bei den politischen Auseinandersetzungen zwischen nachbarlichen Staaten. Wer auf Wasserreserven zugreifen kann, verfügt über große Macht. Es gibt deshalb nicht wenige, die der Meinung sind, die nächsten Kriege werden nicht um das Öl geführt, sondern um Wasser.

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