Spotlight: Italien in der Krise?
von Oliver Lexa

Geht man heute durch die Strassen italienischer Großstädte und fragt die Bewohner, was sie von der aktuellen italienischen Wirtschaft halten, kriegt man eine eindeutige Antwort: "Magnìfico!", was so viel wie "herrlich, prächtig, toll" bedeutet. Verwunderlich, würde man hier in Deutschland heimlich flüstern. Schließlich sind die Italiener doch nur mit 0,2 Prozent mehr Wirtschaftswachstum "gesegnet" als wir hier in Schröder-Country (Deutschland liegt bei 0,2 Prozent). Sprich man die Italiener daraufhin noch mal ernsthafter an, verschwindet zur deutschen Verwunderung deren Einstellung nicht, und der Italiener wird uns wieder sein herzerfrischendes Lächeln schenken und uns mit strahlenden Augen ein fröhliches "Magnìfico" zurufen.

Nun können manche sagen, das liegt an der lebhaften und netten Art der Italiener, das Leben etwas einfacher und lockerer zu sehen, aber wer sich einmal das Geschäftsleben in Italien genauer angesehen hat, dem wird sicherlich aufgefallen sein, dass der Italiener im Alltag sehr wohl Wert auf Etikette und Förmlichkeiten legt. "Bizz is bizz" heißt es in Amerika und das gilt auch in Italien. Was man in der Freizeit macht, steht in einem anderen Buch......

Woher kommt aber diese lockere Einstellung gegenüber doch bedrohlichen wirtschaftlichen Nachrichten und Aussichten? Um einen kleinen Einblick zu bekommen, schaut man sich einfach mal die Regierungen der letzten 58 Jahre an und bemerkt dann, dass es in diesen Jahren doch tatsächlich auch 58 verschiedene Regierungen gab, auch wenn nicht jedes Jahr eine andere "ausgewechselt" wurde. So überrascht es nicht, wenn manche italienische Unternehmen meinen, dass sie auch gut ohne die Regierung zurechtkommen.
Um es direkt zu sagen: Italien ist ein Land, welches unter ständigen politischen Personalwechseln in den Führungsämtern zu kämpfen hat, was zu ständigen politischen Lähmungen führt. Darüber hinaus kämpfte Italiens Wirtschaft mit einem furchtbaren Lirakurs (man munkelt, dass Italien deswegen ohne Kompromisse den Euro wollte) und unvorhersehbarer Politik.
Dies bewirkte, das ein Manager in Italien viele Sorgen über die Außenwelt "ausklammern" und sich auf andere Gebiete spezialisieren mußte. Zum Beispiel die Suche nach neuen Kunden und neuen Märkten.

In Italien geht nichts so wie bei dem Rest der Welt, sagen viele Italienexperten. Leicht zu verstehen, wenn man sich überlegt, dass selbst die bestformuliertesten Verträge unsicher erscheinen, wenn ein ziviles Gerichtsverfahren über zwanzig Jahre dauern kann, wenn es so viele Gesetze gibt, die sich gegenseitig blockieren, so dass niemand eine einheitliche Linie finden kann, wenn Gerichte jedes Gesetz völlig selbständig interpretieren und auslegen können und die Steuerhinterziehung so selbstverständlich ist, wie die morgendliche Tasse Kaffee. Wer sich dann noch mit den italienischen Behörden anlegen will, wird schnell feststellen, dass viele Behörden einfach gar nichts machen und von den anderen keine Entscheidungen zu erwarten sind. Wer dann noch nicht mal über sehr gute Beziehungen verfügt, sollte erst gar nicht erwarten, dass man ihn anhört. Da sollte man sich lieber in einem anderen Land zur Ruhe setzen.

Aber schlechte Laune ist dennoch in Italien nicht erlaubt, den schlechte Laune stempelt einen als Verlierer ab und das ist in Italien niemand. Wenn sich ein Problem heute nicht lösen läßt, macht man eben das Beste aus dem Tag, setzt ein Lächeln auf und brüllt: "Magnìfico!" Dies spiegelt auch die Tatsche wieder, dass die private Nachfrage in Italien eher ein stabilisierendes Element für die Konjunktur ist, anders als in Deutschland. Denn Italiener kennen kein "Angstsparen". Das Geld wird immer noch in die Geschäfte getragen. Schließlich ist alles Bestens in Italien.

Ein weiterer Pluspunkt für Italien ist, dass radikale Steuersenkungen in Aussicht gestellt wurden. Der oft kritisierte Haushalt für das Jahr 2003 enthielt niedrigere Einkommenssteuersätze, Abschaffung der Erbschaftssteuer unter Verwandten, einen 12,5-Prozent-Abschlag für Dividenden und Zinsen. Darüber hinaus wird ein Gesetzesvorschlag erarbeitet, in dem die Einkommenssteuer auf nur noch zwei Stufen mit 23 bzw. 33 Prozent verringert werden soll. Was sagt unser fröhlicher Italiener zu diesen Vorschlägen? Genau: "Magnìfico".

Aber trotzdem hat Italien zwei massive Probleme, die mit Deutschland geteilt werden und bei denen der fröhliche Italiener nur noch "orrendo" rufen kann - "grauenhaft": der Arbeitsmarkt und das überteuerte Rentensystem.
Aber das sind für Italiener an sich keine wirklichen Probleme, schließlich ist man gutgelaunt und glaubt, dass sich immer eine Lösung findet. Und mit einem kleinen Seitenhieb weist uns dann der lustige Italiener auf die deutschen Reformprobleme hin, welche in Italien nie entstehen könnten. So ist es unverstellbar, das ein vierzigjähriger Italiener bei einer Behörde Sozialhilfe verlangen würde. Er würde nur ein lautes "Parassita!" hören. In Italien gibt es Sozialhilfe im arbeitsfähigen Alter genausowenig wie Arbeitslosengeld nach einem Jahr. Und auch in den Monaten Sieben bis Zwölf bekommt man nur 30 Prozent des letzten Gehaltes. Um Kranke kümmert sich ein staatliches Gesundheitswesen, das über einen minimalen Versorgungsstandard verfügt. Trotzdem ist dieses Gesundheitswesen "magnìfico", schließlich gibt es in Italien keine Kostenexplosion zu befürchten.

Und dann gibt es da noch die abertausenden Kleinunternehmen, welche sich (im Gegensatz zu z.B. Fiat) zusammengeschlossen haben und eine "Zweckehe" eingegangen sind. Die interessante Kombination von Konkurrenz, hohe Spezialisierung, Kostenvorteilen, hoher Stückzahlen und Flexibilität bei kleinen Einheiten treffen sich hier. Ebenso sind die meisten Kleinunternehmen Familienbetriebe und somit sehr flexibel, da die Familienangehörigen nicht nach Gewerkschaftsvertretern und Sonderkonditionen für Überstunden schreien (Deutschland läßt grüßen) und im Zweifel den Gürtel enger schnallen.

Ebenso hat man in Italien erkannt, das nicht der Staatsbedinstete der Vorzeigeitaliener ist, sondern das der Selbständige mittlerweile das Leitbild Italiens ist. Dies hat man sogar in Süditalien anerkannt, als man merkte, dass die früher üppigen Subventionen nicht mehr so dick fließen.

Alles in allem ist Italien zwar nicht "gerettet", aber man ist sehr sorglos und positiv, was die Zukunft betrifft. Dadurch, dass man in Italien praktisch alles schon mal erlebt hat, kümmert man sich weniger und "macht sein eigenes Ding". Und wenn man Abends in Italien an einem Strand die Sonne untergehen sieht, hört man hier und dort ein leises "Meraviglioso" aus den Häusern wispern: "Wunderbar"......

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