Spotlight: Südkorea hat die Krise bewältigt
von Oliver Lexa

Südkorea 1998: Die Währung fällt, die Arbeitslosenquote verdoppelt sich, soziale Absicherung gibt es nicht für die Menschen, die sich bei Minustemperaturen auf der Strasse einen Platz zum Schlafen suchen müssen. Die sechs größten Konzerne des Landes gehen Pleite. Südkorea ist am Ende und kann nur durch eine 56 Milliarden Dollar Hilfe des Internationalen Währungsfonds (IWF) vor dem totalen Zusammenbruch gerettet werden.

Südkorea 2003: Der Staatshaushalt weist Überschüsse auf, das Wirtschaftswachstum beläuft sich auf über 5 Prozent, während die Arbeitslosenquote unter 3 Prozent liegt. Südkorea gleicht einer Baustelle, überall entstehen neue Wohnungen, Einrichtungen und Unternehmen. Seoul ist das Megazentrum des Landes mit mehr als zwölf Millionen Einwohner. Südkorea ist aus der Krise erwacht und katapultiert sich von allen asiatischen Staaten am deutlichsten aus dem Sumpf.

Wie konnte ein Land, das nur knapp dem Bankrott entging sich innerhalb so kurzer Zeit so stark erholen?
Die Antwort hierzu findet man in der Mentalität der Asiaten. In Südkorea gibt es keine Trennung zwischen Staat und Ökonomie. Wirtschaftliche Prosperität gilt in Südkorea als oberstes Staatsziel. Ein Unternehmen, welches Gewinne erwirtschaftet sieht sich aber andererseits auch als Faktor, den Staat zu stärken. Unternehmer, welche Gewinne einfahren erleben in Südkorea eine Heldenverehrung, die in Europa unvorstellbar ist.

Natürlich hat man 1997 erlebt, das eine so starke Verflechtung von Wirtschaft und Staat auch ein Fluch sein kann. Das Büro des Präsidenten lenkte damals die Unternehmen des Landes in eine bestimmte Richtung und verlangte von den Banken gewaltige Kredite an marode Unternehmen zu geben. Aber die Unternehmen waren auch in Ausland hoch verschuldet und als ausländische Investoren aus Angst begannen ihr Geld zurückzufordern, fiel Südkorea in die Krise. Aber durch den IWF kam die Rettung, verknüpft mit harten Auflagen. So musste der Staat inmitten der Rezession Zinsen und Steuern erhöhen und den Betrieben die Entlassungen vereinfachen. Am schlimmsten für Südkorea aber war, das man ausländischen Investoren erlauben musste südkoreanische Unternehmen zu übernehmen.

Für die Südkoreaner war die Hilfe des IWF ein Schlag ins Gesicht. Man fühlte sich wieder wie in der Kolonialität. Andere Länder bestimmen über ihr Land - unvorstellbar. Also begann man, mit aller Energie, diese Schande auszubügeln. Die starken Gewerkschaften, nahmen ohne Proteste Lohnkürzungen und Massenentlastungen in Kauf, die Bevölkerung verdeutlichte ihren Willen, auch ohne knappe Devisen auszukommen, indem sie öffentlich ausländische Luxusgüter verbrannten. Das Land wurde wachgerüttelt und wegen dem südkoreanischen Patriotismus und der ehrgeizigen Sparsamkeit überstand man das Schreckensjahr 1998, in welchem die Wirtschaft um knapp 7 Prozent schrumpfte. Ein Jahr später sprang die Konjunktur wieder an.

Ein Verdienst der enormen Konsumlust der Bevölkerung. Dadurch, das die Liberalisierung des Bankensektors eintrat, kommt die Bevölkerung viel leichter an Darlehen und Kreditkarten. Südkorea konsumiert, das erkennt man auch, da die Sparquote von 23 Prozent (1998) auf 10 Prozent (2002) sank. Diese gewaltige Nachfrage pumpte die Wirtschaft enorm auf.
Und Südkorea hat aus seiner Krise gelernt. Die meisten Unternehmen hatten in der Zeit des knappen Geldes verinnerlicht, die traditionellen koreanischen Wachstumsbestreben mit westlicher Vorstellung von Profitablität zu verbinden, ein langsamer, aber stetiger Wandel.

Vor allem ein Bestandteil des Samsung-Konglomerats hat diesen Wandel energisch vorangetrieben. Zu Samsung gehören nicht nur Schiffswerften, Luxushotels, Versicherungen und Werbeagenturen, sondern auch Samsung Electronics, ein Konzern, in dem der alte und neue Managementstil Südkoreas aufeinandertreffen. Noch heute existiert das riesige Werksgelände in Suwon. Dort, gleich neben dem Werksmuseum brandmarkt ein Schild mit der Aufschrift „Worst Line“ die langsamste Fertigungsstrasse. Motivation durch Demütigung. Alles wie im alten Stil: Günstige Fertigung durch hohe Stückzahlen und straffe Organisation.
Ein hochrangiger, europäischer Manager, welcher vor kurzem zu Samsung Electronics wechselte, empfindet den Konzern als „Bienenstaat“. Bis 1997 hatte man auf Marktanteile und Wachstum geachtet, aber nicht auf Profitablität. Das Unternehmen schrumpfte und man entschied sich für Veränderungen. Statt Billigproduzent zu sein, wurde man Markenhersteller. Statt in höhere Stückzahlen, wurde in Marketing und Produktdesign investiert um bessere Margen und höhere Preise zu erzielen. Man gab ebenfalls die Lohnfertigung auf, wegen zu geringer Gewinnspannen. Heute werden dreiviertel aller Produkte unter dem Samsunglogo verkauft.
Im dritten Quartal schaffte es Samsung im Handybereich auf Platz drei hinter Nokia und Motorola, mit mehr als elf Millionen verkauften Stücken. Die Telekommunikationssparte trägt auch dazu bei, das das Unternehmen blüht. Ein Umsatz von 8,7 Milliarden Euro und ein Gewinn von 1,2 Milliarden Euro im vierten Quartal 2002 beweisen dies.

Aber nicht nur Samsung hat seine Sanierung durchgeführt. Ebenso der Schiffsbauer Hyundai Heavy Industries und der Stahlproduzent Paso. Aber es gibt in Südkorea immer noch Branchen, welche sich nicht von der Vergangenheit lösen konnten (z.B. die Automobilbranche). Ebenso ist auch die Unterstützung maroder Betriebe durch den Staat noch immer spürbar. Alleine im Jahr 2001 erhielt der Halbleiterkonzern Hynix mehr als sieben Milliarden Euro.

Die wichtigste Erkenntnis für Südkorea ist, das es kein Zurück mehr gibt in eine Zeit, als man noch unprofitables Wachstum förderte. Das hat der IWF Südkorea bei seiner Hilfe auferlegt. Mittlerweile hat Südkorea seine Schulden zurückbezahlt, das Land muss nun dem Reformkurs freiwillig treu bleiben. Im Dezember wurde Präsident Roh Moo Hyun gewählt. Er möchte eine Entflechtung von Staat und Wirtschaft. Aber nur ein paar Tage später wurde dem Halbleiterunternehmen Hynix ein weiteres milliardenumfassendes Hilfspaket verabreicht. Mit Genehmigung des neuen Präsidenten. Würde der Präsident zu seinen Wahlversprechen stehen, würde es in Südkorea viele spektakuläre Pleiten geben. Dies wäre aber der beste Weg für Südkorea für eine langanhaltende Blütezeit. Wenn nicht, wäre eine neue Krise vorprogrammiert. Die OECD prognostiziert eine Abschwächung des Wirtschaftswachstums im laufenden Jahr. Durch den Anstieg der Löhne und Immobilienpreise, wird die koreanische Zentralbank voraussichtlich die Inflationsgefahr mit höheren Zinsen bekämpfen. Das ist ein typisches Symptom für eine Hochkonjunktur. Und irgendwie ein sehr kleines Problem, wenn man bedenkt, dass das Land vor fünf Jahren noch am Abgrund stand......

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